Stellungnahme zum Verzicht auf Blutentnahme bei Alkohol im Verkehr
zum Vorschlag des Verzichts auf eine Blutentnahme bei Verkehrsstraftaten unter Alkohol bzw. im "strafrechtlich relevanten Konzentrationsbereich" (publiziert 19.03.2008)
Statement on the waiving of taking blood samples involving alcohol consumption in road traffic (Englisch translation)
Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM), der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM) und der Deutschen Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie (GTFCH)
Ein Verzicht auf eine Blutprobe bei Verkehrsstraftaten unter Alkoholeinfluss ist aus wissenschaftlicher bzw. sachverständiger Sicht gerade in Anbetracht der hohen Ansprüche an die Beweiskraft in Strafverfahren nicht akzeptabel. Es würde auf ein wertvolles Beweismittel mit hoher Aussagekraft verzichtet, zusätzlich käme es in Begutachtungsfragen zu unnötigen Unsicherheiten und zur Ungleichbehandlung von Betroffenen. Die juristischen Folgen müssen den Entscheidungsträgern bewusst sein und im Folgenden sind aus wissenschaftlicher Sicht die Gefahren eines Beweisverlustes und weitere Nachteile kurz aufgelistet:
1) Mit der Abschaffung der Blutprobe ginge ein wichtiges und besonders sicheres und informatives Beweismaterial verloren. Folgende Möglichkeiten für eine Beweisführung ständen nicht mehr zur Verfügung:
a) prinzipielle Überprüfung des Ergebnisses bei einer Atemalkoholprobe;
b) Nachuntersuchung bei Zweifel am technischen Zustand des Atemalkoholgerätes oder Zweifel bezüglich des Einhaltens von physiologisch notwendigen Wartezeiten;
c) Überprüfung der Identität des Betroffenen mittels DNA-Untersuchung;
d) Überprüfung einer zusätzlichen Aufnahme weiterer zentral wirksamer Mittel (Drogen, Medikamente), was sich z.T. erst im Nachgang ergeben kann bzw. bei Diskrepanzen zwischen Alkoholbefund und der Symptomatik;
e) Überprüfung von Nachtrunkangaben (die häufig erst im Laufe eines Verfahrens geltend gemacht werden) mittels Begleitstoffanalyse;
f) Überprüfung von Trinkgewohnheiten (z.B. langzeitige Alkoholisierung, Untersuchung auf Alkoholmarker, Schlusssturztrunk);
g) Hinweise auf ein geändertes Trinkverhalten in Fahreignungsfragen (z.B. normalisierte Alkoholmarker gegenüber erhöhten Werten in der Deliktblutprobe);
h) mögliche Belege und Schätzung eines einige Stunden vorangegangenen Alkoholkonsums bei aktueller Alkoholfreiheit durch Nachweis von Ethylglucuronid.
2) Ein ärztlicher Untersuchungsbericht mit kompetent erhobenem psychophysischen Leistungsbild durch eine polizeiunabhängige Person steht nicht mehr zur Verfügung. Dieser bildet bei vielen Fragestellungen Grundlage einer weiterführenden Begutachtung, ist eine maßgebliche Grundlage bei der Beurteilung relativer Fahrunsicherheit oder bei Schuldfähigkeitsfragen und ist nicht durch Berichte medizinischer Laien zu ersetzen.
3) Forensisch ist die Umrechnung von Atemalkohol- in Blutalkoholwerte problematisch. Unbestritten ist, dass eine exakte Umrechnung nicht möglich ist, da die Streubreite im Einzelfall erheblich differieren kann. Das Verteilungsverhältnis Blutalkohol /Atemalkohol (verwendeter Umrechnungsfaktor 1:2000) unterliegt sowohl zeitlichen als auch individuellen Schwankungen. Insbesondere kurz nach Trinkende kann das Verhältnis deutlich kleiner als 1:2000 sein. Ein Umrechnungsfaktor von 1:2000 stellt gegenüber dem physiologischen Mittelwert von 1:2100 eine Begünstigung von 5% zugunsten der Atemalkoholmessung dar. Bei einer Umrechnung von Atemalkoholwerten auf die Blutalkoholkonzentration wären wissenschaftlich korrekt allenfalls Konzentrations-bereiche anzugeben (vgl. Stellungnahme der DGRM, Blutalkohol 36, 177, 1999).
4) Wissenschaftlich vertretbare und rechtlich relevante Berechnungen der Blutalkoholkonzentrationen aus Trinkmengen, Trinkmengen aus der BAK und insbesondere Rückrechnungen auf den Tatzeitpunkt beruhen sämtlich auf Erfahrungen mit dem Blutalkohol und sind auf Atemalkohol nicht direkt übertragbar. Die Mehrzahl der Beurteilungen von alkoholisierten Zuständen beruht auf der allein repräsentativen BAK, weil nur diese mit dem Bestand an Alkohol im Körper bzw. im Körperwasser in unmittelbarer Beziehung steht. Entsprechende umfassende wissenschaftliche Studien zum Atemalkohol fehlen. Berechnungen könnten sich allenfalls auf jeweils zugunsten des Beschuldigten von AAK auf BAK umgerechnete Werte stützen.
5) Bei höheren BAK-Werten, mit zunehmendem Alter sowie bei Krankheiten sind Personen (erfahrungsgemäß) häufiger nicht mehr in der Lage, eine Atemalkoholprobe abzugeben. Bei möglichen Benachteiligungen oder Bevorteilungen müssten Probanden von vorneherein auf eine Wahlmöglichkeit zwischen einer Blut- oder Atemalkoholmessung hingewiesen werden. Es kann bei authentischen Fällen mit (mehreren Fehlversuchen einer AAK-Bestimmung) zu erheblichen Zeitverlusten kommen, bis man sich zur alternativen Blutentnahme entscheidet, was für die Beweislage und Begutachtungsfragen von Nachteil ist (Alkoholabbau über diesen Zeitraum).